21. January 2024

Das Fleisch der Zukunft: Laborfleisch

Der Fleischbedarf hat sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt. Geht der Trend so weiter, stößt die Erde 2050 an ihre Grenzen. Die Alternative: gezüchtetes Fleisch aus dem Labor!

Die Erde hat ein Klimaproblem. Die Pole schmelzen, das Wetter spielt verrückt, ganze Kontinente brennen, andere gehen bei Überschwemmungen unter. Daran ist unter anderem die hohe Nachfrage nach tierischen Produkten schuld. Diese kann nur durch Massentierhaltung gestillt werden, die nicht nur mit Treibhausgasen zur Klimakrise beiträgt, sondern die für die Aufzucht der Tiere auch Unmengen an Viehfutter und Wasser benötigt. Weltweit werden etwa 33 Prozent der Anbaufläche für Futtermittel verwendet. Diese erfordern eine intensive Landwirtschaft in Form von Monokulturen, unter Einsatz von chemischem Dünger und Pestiziden. Ganze Regenwälder werden zerstört, um mehr Fläche für Futtermittel freizumachen. Durch die Landnutzungsänderung wird wiederum CO2 freigesetzt und die Artenvielfalt geht verloren. Und diesen Rattenschwanz könnte man immer weiterführen. Sollte der Fleischkonsum weiter steigen und sich der Trend fortsetzen, stößt die Erde spätestens 2050 zumindest flächenmäßig an ihre Grenzen

Eine Zukunft ohne Fleisch, wie wir es kennen

Laut einer Veröffentlichung der Unternehmensberatung A.T. Kearney werden im Jahr 2040 wahrscheinlich bis zu 60 Prozent der Fleischprodukte nicht mehr von Tieren stammen, sondern entweder pflanzen- oder zellbasiert sein. Was bedeutet das und wie können solche Fleischprodukte aussehen? Drei vielversprechende Optionen wollen wir in dieser Reihe genauer unter die Lupe nehmen. In dieser Folge: In-Vitro-Fleisch, gezüchtetes Fleisch aus dem Labor.

Laborfleisch

Laborfleisch, auch In-Vitro-Fleisch oder kultiviertes Fleisch genannt, ist genau das: Fleisch aus dem Labor. Daran tüfteln Forscher schon seit vielen Jahren. 2013 wurde von einem niederländischen Forscherteam um Mark Post von der Universität Maastricht bei einer Pressekonferenz das erste gezüchtete Burger-Patty vorgestellt (dieser hatte damals übrigens einen Gegenwert von rund 250.000,- Euro!). Seitdem sind viele Entwickler und Start-Ups auf den Zug aufgesprungen und 2021 kommt das Laborfleisch der Marktreife langsam näher. Aber wie wird so ein „Fleisch-im-Glas“ eigentlich hergestellt?

So entsteht Laborfleisch

Dahinter steckt Stammzellentechnologie, eine Technologie, die auch ein Kind im Mutterleib heranwachsen lässt. Aber nicht nur Föten, auch Erwachsene haben Stammzellen in verschiedenen Geweben, zum Beispiel in den Muskeln. Wenn man diese belastet, müssen Zellen erneuert werden. So funktioniert das Muskelwachstum. Es ist möglich, dem Körper Stammzellen zu entnehmen und diese heranzuzüchten.

Vom Tier, beispielsweise einer Kuh, wird per Biopsie eine Gewebeprobe entnommen. Das funktioniert mit einem kleinen Einstich, ist für das Tier nicht schmerzhaft und schon gar nicht tödlich. Aus dem Gewebe werden dann Stammzellen entnommen, die danach in eine Nährlösung gelegt werden, welche wachstumsfördernde Stoffe enthält. Dort vervielfacht sich die Zelle und es entwickeln sich Muskelfasern. 

Schlussendlich entsteht echtes Fleisch, dessen Zellen sich nicht mehr von den Zellen eines geschlachteten Tieres unterscheiden lassen. Den Geschmack macht dabei das Verhältnis von Fett zu Muskeln aus. Stimmt die Mischung, ist der Unterschied zu „echtem“ Fleisch auch olfaktorisch nicht zu bemerken.

Why is nothing displayed here?

For the protection of your personal data the connection to Youtube has been blocked.
Click the button to remove the blocking of Youtube.

Das sind die Vorteile von Laborfleisch

  1. Ökologisch nachhaltig: aus einer einzelnen, kleinen Gewebeprobe lassen sich rund 80.000 Burger herstellen. Für diese Menge an Fleisch müssten normalerweise tausende Tiere erstmal aufgezogen, gefüttert und danach geschlachtet werden. All das fällt bei Laborfleisch weg. Massentierhaltung wäre nicht mehr nötig und die Menge der Treibhausgase würden signifikant zurückgehen. Anbaufläche, die bisher für Viehfutter genutzt wird, stünde wieder zur Verfügung und könnte dadurch zusätzliche sieben Milliarden Menschen ernähren.
  2. Tierleid adé: Ein Großteil der Vegetarier und Veganer verzichtet deswegen auf Fleisch, um sich nicht am unwürdigen Leben und Schlachten der weltweit über 70 Milliarden Nutztiere zu beteiligen. Kultiviertes Fleisch kommt ohne den Tod eines Tieres aus. Nutzvieh müsste nicht mehr in enger Massentierhaltung gehalten und unter Stress geschlachtet werden.
  3. Keine Medikamente: Antibiotika im Fleisch könnte der Vergangenheit angehören. Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit 70 bis 80 Prozent der Antibiotika in der Nutztierhaltung eingesetzt wird, zumeist zur Wachstumsförderung. Daraus können nicht nur Resistenzen entstehen, die ganze Pandemien hervorrufen können, durch den Verzehr gelangen die Antibiotika auch in die Körper der Menschen. Das unter sterilen Laborverhältnissen gezüchtete Fleisch unterliegt hingegen allerstrengsten Kontrollen und kommt, im Gegensatz zu den Tieren, nicht mit Medikamenten in Berührung.
  4. Kampf der Pandemie: Viele Forscher sehen eine deutliche Parallele zwischen dem Verzehr von Fleisch aus der industriellen Nutztierhaltung und der Entstehung von Pandemien. Die FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) kommt zu dem Ergebnis, dass rund 75 Prozent aller neu auftauchenden Krankheitserreger, die den Menschen bedrohen, aus „zoonotischen Quellen“, sprich von Tieren, stammen.
  5. Schnelle Verfügbarkeit: Derzeit ist die Produktion von Laborfleisch noch sehr aufwendig und zeitintensiv. In Zukunft sollen aber mehrere Tonnen Fleisch in einem Zyklus von nur zwei Wochen gezüchtet werden können. Das ist sehr kurz im Vergleich zur Tierzucht.

Nachteile: Das spricht bisher gegen Laborfleisch

  1. Steaks noch in weiter Ferne: Bisher konnte unter Laborbedingungen nur Faschiertes (für unsere deutschen Leser besser bekannt unter Hackfleisch), also unstrukturiertes Fleisch gezüchtet werden. Steaks und Filets bestehen aus trainiertem Muskelgewebe, das man so nicht direkt züchten kann. Stattdessen müssten die Muskelfasern aus der Petrischale in großem Maßstab erstmal einem Trainingszirkel unterlaufen, bei dem immer wieder Druck und Zug auf sie ausgeübt wird, damit sich die Fasern festigen. Außerdem müsste das Gewebe dreidimensional wachsen, am besten entlang einer Struktur, die einem Skelett ähnelt. Und im Gewebe müssten die Zellen durch Strukturen stabilisiert werden, die verhindern, dass sie unter dem Gesamtgewicht zerdrückt werden.
  2. Viel zu teuer: Zwar sind die Kosten für In-Vitro-Fleisch in den letzten Jahren durch finanzielle Unterstützung und Verbesserung des Herstellungsverfahrens signifikant gesunken, trotzdem kostet die Produktion eines Chicken Burgers heute immer noch rund 100 US-Dollar. Als Ziel geben die Entwickler einen Preis von zehn bis zwölf Dollar an, um die Produkte auch in Supermärkten und Fast-Food-Ketten verkaufen zu können. 
  3. Intensive Hege und Pflege: An eine Umsetzung in großem Maßstab ist weiterhin nicht zu denken, denn die Zellzüchtung ist unglaublich Zeit- und Kostenintensiv. Man muss die Zellen, genau wie jedes andere wachsende Lebewesen, warmhalten, pflegen und füttern. Alles, was mit den Zellen in Berührung kommt, muss steril gehalten werden. Das hochzuskalieren ist eine Ingenieurskunst. In einem Interview mit Quarks sagt Silvia Woll vom Karlsruher Institut für Technologie: „Wir müssten riesige Inkubatoren bauen, in denen massenhaft Fleisch reifen könnte“, denn die Temperatur müsste ständig der eines warmen Tierkörpers entsprechen und die Nählösung müsste regelmäßig überprüft und ausgetauscht werden.
  4. Laborfleisch braucht Energie: Für ein Kilo Rindfleisch benötigt man neun Kilogramm Getreide, 15.400 Liter Wasser und eine Nutzfläche von bis zu 49 Quadratmetern. Dabei entstehen 22 Kilogramm Treibhausgase. Aber auch Laborfleisch verbraucht in der Entwicklung Ressourcen. „Unsere Nährlösung ist sehr viel effektiver als die herkömmliche Futterverwertung in Mastbetrieben.“, erklärt Marc Post Im Interview mit Das Erste: „Wir benötigen nur das Zweieinhalbfache an vegetarischen Input". Wie viel Energie, Wasser und andere Ressourcen die Entwicklung von Laborfleisch in großem Stil aber benötigen wird, lässt sich derzeit noch nicht vorhersagen.

Unser Fazit

Laborfleisch wäre eine echte Alternative, aber noch nicht heute. Bis das Faschierte aus dem Reagenzglas Marktreife erreicht hat, werden wohl noch ein paar Jahre ins Land ziehen. Und selbst dann sind zwar Burger, Chicken Nuggets, Würstel und Co aus dem Labor möglich, für Filet und Steak wird Mensch allerdings erstmal weiterhin zum realen Tier greifen müssen. Aber auch wenn nicht von jetzt auf gleich komplett auf Nutztiere verzichtet werden könnte, ist jeder Schritt weg von der Massentierhaltung, hin zur Nachhaltigkeit und weniger Tierleid, ein sehr wichtiger. Im Interview mit Niko Rittenau, Ernährungswissenschaftler aus Kärnten und großer Influencer in der Vegan-Szene, zeigt dieser sich absolut von der Zukunft „Laborfleisch“ überzeugt: „Ich halte diese Technologie für eine der weltveränderndsten Erfindungen in der Geschichte der Menschheit und setze große Hoffnung darauf, dass es ein entscheidender Lösungsweg sein wird, um die weltweit steigende Nachfrage nach Fleisch zu bedienen, ohne unsere eigene Lebensgrundlage zu gefährden.“ Aber ist Fleisch aus dem Glas überhaupt vegan? Immerhin handelt es sich ja weiterhin um Fleisch! Laut Niko Rittenau, ja: „Es geht bei der veganen Ernährung nicht darum nur Pflanzen zu essen (dann dürfte man auch keine Pilze essen), sondern es geht darum die Interessen aller Lebewesen soweit möglich zu berücksichtigen und eine faire Welt unabhängig der Spezieszugehörigkeit zu schaffen.“ Diese Voraussetzungen seien laut Rittenau mit gezüchtetem Fleisch gegeben. Bis dahin brauche es aber noch viel Forschung.

Quellen: